Copyright 2022
Built with Indexhibit
In den 70er Jahren war Irland das Land unserer Sehnsucht, ein Land von herber Schönheit, und Menschen,
die so wunderbar fröhliche und melancholische Musik
spielten, deren Literaten uns mit ihren Geschichten
neugierig machten.
Als Student der Fotografie führte mich meine Neugier 1979 und 1981 auf zwei Reisen nach Nordirland. Die erste führte mich nach Belfast und an den Lough Neagh zu einer Fischereikooperative, die zweite nocheinmal nach Belfast und Derry. Der Bürgerkrieg zwischen
Protestanten und Katholiken hatte harte Spuren hinter-
lassen.
Belfast war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine
pulsierende Stadt. Leinen- und Strickindustrie, Tabakmanufakturen, sowie Maschinen- und Schiffbau gaben Arbeit und brachten Wohlstand. Im zweiten Weltkrieg wurden hier Waffen produziert. Sie wurde 1941 zum Ziel der Bombardements der Deutschen Wehrmacht, die fast die Hälfte der Stadt zerstörte. Nach 1945 kam es, besonders in den großen Städten Belfast und Derry, zu einem wirtschaftlichen Niedergang. Die katholische Bevölkerung traf es besonders hart.
Der Bürgerkrieg war ein schon lang andauernder
Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen
Nationalisten und Unionisten, zwischen Irischtreuen und Englandtreuen. Er hat seinen Ursprung in den Eroberungsfeldzügen im Jahre 1171 von Henry II von England und der später vorgenommene Besiedlung Irlands
durch britische Siedler.
Keine historische Epoche hat Belfast härter getroffen
als der Nordirlandkonflikt. 1969 kamen die Unruhen zu einem Höhepunkt. In Derry wehrten sich Katholiken in
einem dreitägigen Kampf gegen protestantische
Angreifer. Anschließend kam Nordirland nicht mehr zur Ruhe. Am „Bloody Sunday“ 1972 erschoss die britische Armee in Derry 13 Männer während einer friedlichen Demonstration. Es folgte eine Zeit des Bürgerkriegs in Nordirland. Offiziell beendet wurde dieser Konflikt durch das sogenannte Karfreitagsabkommen 1998. Aber erst
2005 legte die IRA (Irish Republic Army) ihre Waffen
nieder. Die UVF (Ulster Volenteer Force) brauchte noch zwei Jahre länger, um der Gewalt abzuschwören.
Das britsche Militär zog sich nach 38 Jahren Präsenz
in Nordirland zurück.
Ich reiste in ein Land, dass bei uns mit Terrorakten in den Nachrichten war. Ich kannte den Konflikt nur aus Artikeln in Zeitungen und Magazinen, sowie Beiträge im Fern-
sehen. Ich wollte dokumentieren, wie sieht eine Stadt
aus, in der Bürgerkrieg herrscht. So wanderte ich durch die Straßen Belfasts, beobachtete und fotografierte.
Ich wollte diese Stadt unmittelbar erleben, hoffte auf
Kontakte, die mich den Menschen näherbrachten oder mir Neues zeigten. Ich fand heruntergekommene Stadt-
teile, sah Straßenzüge, deren Häuser unbewohnbar
waren, Sanierunggebiete die vor dem Ende standen.
Ich suchte nach Spuren des Konfliktes und fand Orte, an denen ich verstand, worum es in diesem Konflikt ging bzw. immernoch geht. Der Konflikt ist nicht allein ein Glaubenskrieg, nicht allein ein Konflikt um den Anschluss an das englische Königreich, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Der katholischen Arbeiterschaft ging es wesentlich schlechter, als der protestantischen. Diese jedoch fühlte sich in ihrer sozialen Stellung bedroht.
1981 führte meine Reise nach Belfast und Derry.
Es war die Zeit in der IRA- und INLA-Häftlinge in den Hungerstreik getreten waren, um dafür zu kämpfen als politische Gefangene anerkannt zu werden. Bei meinen Gängen durch Belfast fielen mir immer wieder die großen Wandbilder zur Unterstützung der Hungerstreikenden auf. Sie zeugten von einer hohen Akzeptanz der IRA in der katholischen Bevölkerung. Neun Häflinge waren schon im Hungerstreik gestorben, die Stimmung
in Nordirland war gereizt.
Am 20. August 1981 starb Michael Devine im Hungerstreik. Von Belfast fuhr ich zusammen mit Trauernden im Bus zur Beerdigung nach Derry, organsiert von Sinn Féin, einer republikanischen Partei, dem politischen Arm der IRA. Am 22. August wurde Michael Devine in Derry, neben seinem Freund Patsy O‘Hara, der ebenfalls im Hungerstreik starb, beigesetzt. Tausende säumten die Straßen zum Friedhof und gaben ihm letztes Geleit. Am Abend kehrte ich nach Belfast zurück.
Der nächste Tag war ein Sonntag, die Leute gingen in die Kirche, die Loyalisten marschierten durch die Stadt und zeigten ihren Machtanspruch.
Wie sollte dieses Land in Zukunft zur Ruhe kommen?